Lebensträume
Mein Leben auf Reisen in Vollzeit

Reiseberichte

Hier sind zwei der fast hundert Reiseberichte, sowie eine Erfahrung von erlebter Gastfreundschaft und die Rückreise nach Deutschland

14. August 2022: Irland, Eigenarten und das Gute im Menschen.
Gestern saß ich abends mit ein paar Briten und Iren, es waren vier Paare, auf dem Stellplatz in Annagassan zusammen. Ich hatte mein abendliches Bier am Auto getrunken, als eine aus dieser Gruppe zu mir rüberkam und meinte, ich solle mich doch dazusetzen zu ihnen. Natürlich habe ich ihnen Gesellschaft geleistet und wir haben uns köstlich unterhalten. Dabei erfuhr ich - so deren Erfahrung und zu deren Belustigung - dass Deutsche es tatsächlich so meinen, wenn sie Leute um 19.00 Uhr zu einer Party einladen. In Irland ist Pünktlichkeit eher eine Option. Wenn es passt, dann kommt, oder auch früher oder später.
Die Iren sind außerdem die Könige des Smalltalks und ein Gespräch ergibt sich nahezu automatisch. Aber man darf das nicht überbewerten. Die Grußformel gegenüber Wildfremden auf der Straße heißt "Hi" oder "Hello" oder "How is it going" beziehungsweise "How are you doing". Dass dabei jeweils circa 50 Prozent der Buchstaben verschluckt werden, ist eher ein Nebeneffekt. Mit diesen Fragen ist aber nicht gemeint, dass die eine Antwort darauf erwarten. Die wollen nicht wissen, wie es Dir geht. Das ist nur Begrüßung. Zügig weitergehen und kurz lächeln reicht. Es ist alles also recht unkompliziert, man muss es halt wissen. Auch das hatten die mir mit auf den Weg gegeben.
Am Tag darauf kam Leonhard zu mir ans Auto. Er ist Landwirt hier im Ort und hat mir einfach einen Fünf-Kilogramm-Sack mit Kartoffeln gebracht. Als Geschenk für den Deutschen, der im Hafen steht. Ich war mal wieder überwältigt. Die nächsten vier Wochen gibt es jeden Tag Kartoffeln.

27. September 2022: Realität des Vollzeit-Vanlife - es kommt, wie es kommt!
Ich möchte euch einen Einblick geben in meine Gedankenwelt der letzten Tage.

Im Mittelpunkt das Auto und Cookie. Galaxy braucht eine Reparatur, eine richtige Reparatur.  Beim Recherchieren im Internet bin ich auf eine Werkstatt gestoßen: Bewertung 5,0. Zeit hat er! Andere Werkstätten, die ich angefragt habe, können erst eine oder zwei Wochen später. Der Preis scheint okay. Nur ob er es an einem Tag schafft, weiß er nicht.
Problem 1: Cookie!
Sie schläft sehr viel inzwischen, einige Stunden am Tag im Auto, wo auch sonst. Eine Unterkunft in der Nähe kriege ich keine. Cookie ist anscheinend zu groß, nur kleine Hunde werden angenommen.
Problem 2:
Peter, ein Ire, mit dem ich mich unterhalte, meine Altersklasse, rät mir von dieser Werkstatt ab. Noch ein Peter, ein anderer Ire, ebenfalls von hier und die gleiche Altersklasse, rät mir auch ab.
Problem 3:
Ich muss mich auf den Preis, den die Werkstatt mir genannt hat, verlassen wollen. Kann ich das bei dem? Irgendwie traue ich ihm nicht.
Problem 4:
Ich rufe in der Werkstatt an, ob alles klar geht mit dem Termin. Ja, alles klar. Ach, er bräuchte noch Fahrgestellnummer wegen den Ersatzteilen. Was hätte er gemacht, wenn ich mich nicht gemeldet hätte? Ich gebe ihm die Daten. Meine Zweifel an dem Typ wachsen. Abends im Pub brüte ich über den Problemen, die Life-Band singt den Beatles-Klassiker "Let it be!"
Der Termin in der Werkstatt steht, ich halte meine Vereinbarung ein. Die letzte Nacht habe ich vor der Werkstatt  verbracht. Heute früh um 7:00 Uhr kommt der Typ, um 8:00 Uhr soll ich das Auto abgeben. Kurz vor acht gehe ich rein. Die Werkstatt steht voll mit Autos. Heute wird es definitiv nichts, denke ich. Der Typ begrüßt mich. „Sorry, die Teile sind noch nicht gekommen. Heute geht nichts“, bestätigt er meine Befürchtung. Er möchte noch kurz die Fahrgestellnummer. Moment, hat er die Teile gar nicht bestellt, frage ich ihn. Doch klar, hat er, sagt er zumindest. Okay, er gibt mir Bescheid, wenn die Teile da sind. Ich gehe, treffe unterwegs einen der irischen Peters. Wir unterhalten uns noch einmal über die Werkstatt, über seine Erfahrungen damit und meine Erfahrungen von vorhin. Kurz darauf rufe ich in der Werkstatt an und storniere den Termin. „I do not trust you“, sage ich ihm ehrlich. Punkt. Eine alternative Werkstatt habe ich, das dauert dann eben. Es regnet! Und ich weiß wieder einmal: Don't worry. Es kommt, wie es soll!

Spontane Weihnachtsfamilie in Spanien

An der Strandpromenade in Los Narejos gibt es ein paar Strandbars (Chringuito), in denen ich mir morgens ein Frühstück gönnte. „Un cafe americano y tostada con tomate“, köstlich, ich liebe das.
Im Chiringuito El Arenal gefiel es mir besonders gut. Das lag nicht nur an der unglaublichen Ästhetik, die Inga, die Betreiberin, ausstrahlte. Es war vor allem  ihre außergewöhnliche Freundlichkeit und Gastlichkeit. Und natürlich spielten auch die leckeren Tapas eine Rolle. Aber viele andere Gäste schienen das auch zu schätzen. Unter anderem eine Gruppe von Senioren, Rentnern aus Frankreich und England. Sie begrüßten mich jeden Morgen und einer von ihnen, Jacques, der Franzose, lud mich irgendwann ein, mich zu ihnen zu setzen. Diese Rentnergang bestand aus Jacques, Evelyn aus Malaysia und den Engländern Sheila und Mick, Sue, Brenda und Jim. Allesamt lebten sie inzwischen hier in Spanien als Residenten. Und ich wurde quasi adoptiert.
Die Gespräche beim gemeinsamen Frühstück waren unfassbar einfühlsam, interessiert, witzig und abwechslungsreich. Und so familiär, dass ich mich entschieden hatte, hier über Weihnachten und den Jahreswechsel zu bleiben. Ich fühlte mich angekommen und willkommen und erlebte mit dieser Gruppe echte Momente des Glücks.
Weihnachten in der Fremde war für mich Neuland, aber eigentlich nichts Besonderes. Denn schließlich waren auch die Weihnachtsfeiertage in den letzten Jahren zuhause ganz bewusst nicht wirklich weihnachtlich bestimmt. Mit Weihnachten als Feiertag konnte ich nichts anfangen und Heiligabend stand bei mir immer ein Grillfeuer auf dem Zettel. Übrigens befeuert von dem Holz, das Cookie über das Jahr verteilt bei unseren Spaziergängen eingesammelt und nach Hause gebracht hatte. Auch hier in Spanien habe ich den Heiligabend mit einem langen Spaziergang mit Cookie verbracht und anschließend bei Kerzenschein, Wein, Käse und Brot für mich im Auto gefeiert.
Am 25. Dezember stand dann wieder das gemeinsame Frühstück im Chiringuito El Arenal an. Dass Inga den Tisch weihnachtlich vorbereitet hatte, ließ mich schon erahnen, was kommen wird. Aber das, was kam, war dann doch überwältigend. Es war eine schöne Stimmung und plötzlich wurden Weihnachtskarten verteilt - und schließlich Geschenke für jeden. Auch für mich. Ich fasste es nicht. Ich war gerade mal ein paar Tage hier und wurde aufgenommen wie einer, der schon immer dabei war.
Aber dann folgte noch die Krönung. Zum Abschied nach dem Frühstück nahmen mich Evelyn und Sheila in den Arm und meinten: "We are your family, we love you!" Ich musste schlucken und irgendetwas musste mir ins Auge geflogen sein. All das ist weit mehr, als ich jemals gedacht hätte - selbst nach den bereits außergewöhnlichen Erfahrungen mit menschlichen Begegnungen seit Beginn meiner Reise. Abends war ich dann bei Sue zum Truthahnessen, die mich auch in der Folgezeit immer wieder zu sich nach Hause eingeladen hatte. Ich genoss es sehr, für eine gewisse Zeit wieder so etwas wie ein Zuhause gehabt zu haben.

Rückreise nach Deutschland

Im Frühjahr 2023 musste ich meinen treuen Ford Galaxy in Spanien verschrotten und brauchte ein neues Fahrzeug. Ich entschied mich, dafür kurzfristig nach Deutschland zurückzukehren. Die Rückfahrt konnte ich mit Andrea machen, mit der ich mich in dieser Zeit sowieso in Spanien treffen wollte.

Dann kam der Tag der Abreise. Es war Dienstagnachmittag, der 9. Mai 2023.
Andrea und ich sind startbereit und wir verlassen Los Alcázares. Es hat alles reingepasst in den Ducato. Andrea kennt ihr Auto. Die meiste Zeit fährt sie, ich bin entspannt auf dem Beifahrersitz. Als ich in der Dunkelheit übernehme, kümmert sie sich um die Musik. Es läuft der „Piano Man“ vom amerikanischen Sänger und Pianisten Billy Joel. Der Song erzählt eine Geschichte, die eines Entertainers am Klavier in einer Bar. Und er beschreibt die einzelnen Gäste in der Bar mit deren Eigenarten. Eine Geschichte, wie aus dem Leben und wie sie sich jeden Tag irgendwo auf dieser Welt abspielt.
Die Atmosphäre im Auto ist sonderbar nah, vertraut. Es tut so gut, ich fühle mich wohl. Andrea fragt mich nach einem Musikwunsch. Bob Seger wäre klasse, „The famous final scene“, ob sie das einstellen kann, frage ich. Klar kann sie das und nach einer kurzen Suchaktion ertönt der Song aus den Lautsprechern. Ich glaube, jeder hat so ein Lied, das ihn durch das Leben begleitet. Ich atme tief durch. So unglaublich viele, auch sehr emotionale, Glücksmomente habe ich erlebt auf der Reise. Das ist einer davon.
Am nächsten Tag, Mittwochabend, haben wir es geschafft. Ich bin in meiner alten Heimat, genau gesagt in Kirchheim am Neckar. Wir fahren zu Hans und laden mein Zeug aus. Andrea und ich verabschieden uns. Über 24 Stunden waren wir auf engem Raum zusammen. Es ist Jahre her, dass ich so eine Situation hatte.
Noch am Abend mache ich einen Spaziergang mit Cookie. Der Neckar ist ruhig, außer ein paar Vögeln und sonstigen Naturgeräuschen ist nichts zu hören. Es nieselt leicht, Regen auf der Haut, im Gesicht – das tut gut. Das habe ich in den letzten Monaten in Spanien vermisst. Man schätzt Dinge, wenn man sie nicht hat.
Freunde schreiben mich an, heißen mich willkommen. Ich freue mich so auf sie. Und auf mein anderes Auto und dann die Fortsetzung der Reise. Das Leben ist unglaublich. Ich liebe es.